Editorial

Bücher haben bekanntlich ihre Geschichte, Onlinepublikationen auch: Unter dem Titel „Le Constitutionnel und Oesterreichischer Beobachter: Spielarten der Publizistik in der internationalen Presselandschaft der Restauration“ möchten wir Ihnen hier die Ergebnisse eines Projekts zur Erforschung der Pressegeschichte präsentieren, dessen Konzeption auf die Zeit meiner fünfjährigen Tätigkeit als Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris (DHI) zurückgeht.

Zwischen 2007 und 2012 stand die Arbeit am DHI Paris ganz im Zeichen einer strategischen Öffnung und thematischen Neuausrichtung des Instituts. In diesen Jahren hat eine mit den Forschungsinteressen der Direktorin in der „späten Frühen Neuzeit“ eng verbundene, interdisziplinär zusammengesetzte Forschergruppe unter dem Oberthema „Politische Kultur zwischen Revolution und Restauration. Frankreich 1780–1830“ neue methodische und inhaltliche Zugänge zur Analyse der sogenannten „Sattelzeit“ in Europa diskutiert und erprobt. Durch zahlreiche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, tables rondes, Workshops und Summerschools, die in dieser Zeit am DHI Paris stattfanden, konnte über die Jahre hinweg mit Kooperationspartnern an deutschen und französischen Universitäten sowie in Pariser Institutionen wie den Archives Nationales, dem Musée Carnavalet oder dem Institut National d‘histoire de l´art (INHA) ein äußerst aktives französisch-deutsches Netzwerk aufgebaut werden. Die in diesem Netzwerk engagierten jeunes chercheurs haben zum Thema „Restauration“ unter verschiedenen Fragestellungen geforscht und publiziert. Aus der Tätigkeit der Forschergruppe sind vielbeachtete Dissertationen und Studien entstanden, die die bis heute vielfach negierte oder einseitig interpretierte Epoche der Restauration unter neuen Fragestellungen beleuchtet haben.

Die ebenfalls in dem skizzierten Kontext diskutierten Überlegungen zu den Perspektiven einer pressegeschichtlichen Erforschung der Restaurationszeit nahmen im Jahre 2012 erfreulicherweise konkrete Gestalt an. Nach meiner Rückkehr an die Universität zu Köln konnten wir dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) von Köln aus ein größeres Forschungsprojekt zur politischen Kultur der Restaurationszeit (1815-1830) auf den Weg bringen, das sich auf die Analyse zweier zentraler Presseorgane konzentrierte: Auf das liberale, oppositionelle französische Journal Le Constitutionnel, das bald nach seiner Gründung im Herbst 1815 zum auflagenstärksten Blatt im Frankreich der Restaurationszeit aufstieg, sowie auf den offiziösen konservativen Oesterreichischen Beobachter. Die in der ersten Projektphase erfolgte minutiöse Rekonstruktion der „Publikationspolitik“ des Constitutionnel, die lange Zeit ein Forschungsdesiderat darstellte, lieferte über die inhaltliche Erschließung und Analyse der Artikel hinaus wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung der französischen Presselandschaft im angegebenen Zeitraum. In einem weiteren Untersuchungsschritt wurde der ursprünglich rein innerfranzösische Blick des Constitutionnel schließlich systematisch nach außen geweitet: Mit dem griechischen Unabhängigkeitskrieg ab 1821 richtete sich der Projektfokus auf ein politisches Erdbeben und Medienereignis, das die Regierungen und Publizisten in ganz Europa gleichermaßen beschäftigte.

Die vorliegende Veröffentlichung stellt in mehrfacher Hinsicht ein Experiment dar: Zur Sicherung der Projektergebnisse war ursprünglich die Abfassung einer „klassischen“ gedruckten Monographie geplant. Während der Projektlaufzeit kristallisierte sich allerdings immer stärker die Idee heraus, statt eines Buches eine genuin digitale, modular aufgebaute Publikation zu entwickeln, die in idealer Weise dem kollaborativen Entstehungscharakter der Texte Rechnung trägt. Denn alle Kapitel bzw. Teilkapitel sind in intensiver Zusammenarbeit mehrerer Autoren konzipiert bzw. überarbeitet worden: Als wissenschaftlicher Bearbeiter der ersten Projektphase zeichnete PD Dr. Bernd Klesmann für den „französischen“ Teil der Publikation verantwortlich. Im dritten Kapitel „Ein Titel wird Programm – Le Constitutionnel in der Französischen Medienlandschaft der Restauration“ skizziert er den Entstehungskontext und wachsenden Einfluss des Pariser Journals, das in nur wenigen Jahren zu einem einflussreichen Presseorgan der Restaurationszeit aufstieg und maßgeblich an allen großen innerfranzösischen Debatten – von der Pressefreiheit bis hin zur Auseinandersetzung um das Erbe der Französischen Revolution – beteiligt war. Nach Bernd Klesmanns Ausscheiden aus dem Drittmittelprojekt zur Wahrnehmung neuer beruflicher Aufgaben im Herbst 2016 konnten mit Christian Maiwald und Jérôme Lenzen für die zweite Projektphase dann junge Wissenschaftler für das Vorhaben gewonnen werden, die in der Ausdifferenzierung und Schärfung der Ursprungskonzeption einerseits das beim Weggang des ursprünglichen Bearbeiters erst in Teilen fertiggestellte Manuskript vervollständigten (Jérôme Lenzen) bzw. andererseits mit einer vergleichenden Auswertung der einschlägigen Artikel des Oesterreichischen Beobachters kontrastierten (Christian Maiwald). Durch die erweiterte Perspektive und veränderte Bearbeiterkonstellation konnte die europäische Presselandschaft des 19. Jahrhunderts so im Spannungsfeld zweier einflussreicher Medienakteure neu vermessen werden. Im Zuge einer systematischen Auswertung umfangreicher, digital verfügbarer Quellenmaterialien konnten Tendenzen und Konfliktpotentiale zudem auf einer breiten Quellenbasis sichtbar gemacht und analysiert werden.

Wir hoffen an dieser Stelle, dass unser Experiment gelungen ist. Am Ende eines langen Projektzeitraums bleibt uns am Ende nun nur noch, Ihnen allen eine bonne lecture zu wünschen!

Gudrun Gersmann (Köln)

Über dieses Projekt

Unter dem übergreifenden Namen MAP (Modern Academic Publishing) entwickelt der Kölner Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit seit einigen Jahren Konzepte für experimentelle Formate des digitalen wissenschaftlichen Publizierens, die einerseits am Lehrstuhl wie auch mit externen Kooperationspartnern in unterschiedlichen Online-Publikationsumgebungen umgesetzt werden.1

Für die Konzeption und Umsetzung dieser Publikation zur europäischen Presselandschaft in der Restaurationszeit konnte mit dem Zentrum für Elektronisches Publizieren (ZEP) der Bayerischen Staatsbibliothek in München (BSB) ein renommierter Entwicklungs- und Infrastrukturpartner gewonnen werden. Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse wird als Pilotprojekt im Rahmen der am ZEP entwickelten dynamischen Publikationssoftware „dyps“ erfolgen. Der Kölner Lehrstuhl ist dabei nicht nur verantwortlich für die Inhalte dieser wissenschaftlichen Publikation zur französischen und vergleichenden europäischen Pressegeschichte, sondern gleichzeitig auch Kompetenzpartner aus der Wissenschaft für digitales Publizieren.

In dem Vorhaben ‚Erstellung und Präsentation dynamischer multimedialer Dokumente, kurz ‚dyps‘ erprobt das ZEP innovative technische Lösungen, um die klassischen Ansprüche an wissenschaftliche Veröffentlichungsmedien mit den interaktiven und funktionalen Mehrwerten des Digitalen zu kombinieren. Dazu wurden die Inhalte zusätzlich mit Kontextinformationen angereichert sowie extern und intern verlinkt, ferner mit graphischen Auswertungen der ebenfalls im Open Access zugänglichen kulminierten Forschungsdaten ergänzt. Die Leserinnen und Leser erwartet eine dynamisch-interaktive Oberfläche, die einen komfortablen Zugang zu dem so angereicherten Volltext bietet und gleichzeitig den grundlegenden Ansprüchen des wissenschaftlichen Arbeitens gerecht wird.

Die wissenschaftlichen Beiträge der einzelnen beteiligten Autoren zu dieser Gesamtpublikation werden jeweils als eigenständige Veröffentlichungen ausgewiesen.

Zitationshinweis

Die empfohlene Zitation für die Gesamtpublikation lautet:

Gudrun Gersmann (Hrsg.), Le Constitutionnel und Oesterreichischer Beobachter: Spielarten der Publizistik in der internationalen Presselandschaft der Restauration (DOI: http://doi.org/10.15463/map-lc), in: MAP – Modern Academic Publishing, 2021 (Datum des letzten Besuchs).

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1 Vgl. www.humanities-map.net zur Publikation von ausgewählten Dissertationen der Universität zu Köln und der Ludwig-Maximilians-Universität München aus den Fächern der Geisteswissenschaften; mapublishing-lab.uni-koeln.de erprobt modulare kollaborative Formen des wissenschaftlichen digitalen Publizierens mit NachwuchswissenschaftlerInnen in frühen Qualifikationsphasen (Master und Docs).